Bislang hatte es der herrschenden Rechtsprechung des BAG entsprochen, dass ein Arbeitnehmer auch eine ggf. unwirksame Weisung seines Arbeitgebers befolgen muss, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, eine Kündigung zu riskieren. Das gilt etwa auch für Versetzungen im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitsgebers (§ 106 GewO). Der 10. Senat des BAG beabsichtigt, von der Rechtsprechung des 5. Senat des BAG abzuweichen. Der 10. Senat vertritt die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen muss, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen betreffend die Frage der Rechtmäßigkeit der erteilten Weisung vorliege. Damit weicht der 10. Senat von der anderslautenden Rechtsprechung des 5. Senats ab. Der 10. Senat fragt deshalb – gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG – an, ob der 5. Senat an seiner Rechtsauffassung festhalten wolle.
Zum Sachverhalt:
Der klagende Arbeitnehmer ist seit dem Jahr 2001 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Er war zuletzt als Immobilienkaufmann am Standort Dortmund eingesetzt. Nachdem Mitarbeiter des Arbeitgebers im März 2014 eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger abgelehnt hatten, teilte der Arbeitgeber ihm mit Schreiben vom 23.02.2015 mit, dass er ihn, den Arbeitnehmer, für die Zeit vom 16.03.2015 bis zum 30.09.2015 am Standort Berlin einsetzen werde; eine Beschäftigungsmöglichkeit in Dortmund außerhalb dieses Teams bestehe nicht. Nachdem der Kläger seine Arbeit am Standort Berlin nicht aufgenommen hatte, hat der Arbeitgeber ihn abgemahnt. Es folgte eine weitere Abmahnung. Schließlich erfolgte die fristlose arbeitgeberseitige Kündigung.
Der Arbeitnehmer hat hiergegen Klage erhoben.
Über die Revision des beklagten Arbeitgebers könne noch nicht entschieden werden. Die Auffassung des LAG, wonach die Bestimmungen des Arbeitsvertrags der Parteien zwar grundsätzlich eine Änderung des Arbeitsortes des Klägers zuließen, die Versetzung von Dortmund nach Berlin aber nicht billigem Ermessen entsprochen habe, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der 5. Senat habe jedoch die Auffassung vertreten, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Weisung, die nicht aus anderen Gründen unwirksam sei, nicht hinwegsetzen dürfe, solange keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliege, die deren Unwirksamkeit feststelle. Der 10. Senat will hingegen die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung des Arbeitgebers nicht – auch nicht vorläufig – folgen muss und fragt deshalb nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG an, ob der 5. Senat an seiner Rechtsauffassung festhält.
Je nach Ausgang wird eine etwaige Änderung der Rechtsprechung zu dieser Frage erhebliche Auswirkung auf die Praxis haben. Folgt der Arbeitnehmer der Weisung nicht und riskiert die Kündigung, kommt es darauf an, ob die Weisung unbillig ist. Nur dann kann sich der Arbeitnehmer erfolgreich wehren. Der Arbeitgeber hingegen trägt bei Nichtbefolgung einer Weisung und anschließender Kündigung das Annahmeverzugsrisiko. Die Judikatur, wann von Unbilligkeit auszugehen ist, wird dann abzuwarten bleiben