OLG Schleswig, Haftung bei Transporten in Zusammenhang mit § 115 VVG. – Urteil vom 05.06.2023, Az. 16 U 195/22 –

In der vorgenannten Entscheidung hatte ein Assekuradeur für die Transportversicherer die Verkehrshaftungsversicherung eines insolventen Frachtführers wegen eines Verlustschadens in Anspruch genommen. Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

Hintergrund des Schadensfalls war, dass der insolvente Frachtführer einen Aushilfsfahrer mit bekannten Geldproblemen, der dem Frachtführer berichtet hatte, dass er von zwielichtigen Personen zu einem vorgetäuschten Raubüberfall gedrängt werde und diese Personen ihn bedrohten, falls er von diesem Vorschlag erzähle, eingesetzt hatte, um Ware mit bekanntermaßen erheblichem Diebstahlsrisiko – Zigaretten – zu befördern, ohne zu klären, ob sich das Gefahrenszenario erledigt hatte.

Der verklagte Verkehrshaftungsversicherer hatte sich auf ihre Transportversicherungsbestimmungen berufen. Nach deren Ziffer 8.1.2. VBF 08 habe der Versicherungsnehmer das Fahrpersonal sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Nach Ziffer 9 VBF 08 werde der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer u.a. diese Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt habe.

Nachdem das Landgericht der Klage in Höhe von knapp 50 % der Klageforderung stattgegeben hatte, haben beide Parteien Berufung gegen das Urteil eingelegt. Der erkennende Senat hat der Berufung der verklagten Verkehrshaftungsversicherung stattgegeben, das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage vollumfänglich abgewiesen.

Der erkennende Senat hat zunächst festgestellt, dass ein Frachtführer grob fahrlässig handele, wenn er einen Aushilfsfahrer mit dem Arbeitgeber bekannten Geldproblemen, der ihm berichtet habe, dass er – wie vorliegend – von Dritten zu einem vorgetäuschten Raubüberfall gedrängt werde und diese Personen ihn bedrohten, falls er von diesem Vorschlag erzähle und es sich bei der zu befördernden Ware um erheblich diebstahlgefährdetes Gut handele, gleichwohl einsetze. Das gelte jedenfalls dann, wenn nicht geklärt worden sei, dass sich das von dem Fahrer berichtete Gefahrenszenario erledigt habe.

Die Klägerseite hatte hinsichtlich der vorgenannten Versicherungsbedingungen u.a. dahingehend argumentiert, dass diese Klauseln unwirksam seien. Dem ist der Senat nicht gefolgt: Die Bestimmungen seien hinreichend klar und verständlich. Der beklagte Verkehrshaftungsversicherer wolle ihrem Versicherungsnehmer eine Verantwortung für die Auswahl und die Führung seiner Mitarbeiter auferlegen. Das sei nur allzu verständlich, da in der schadensgeneigten Transportbranche das Schadensrisiko in erheblichem Maße nicht zuletzt davon abhänge, dass das Fahrpersonal – für dessen Verschulden der Frachtführer, wie er wissen müsse, nach § 428 HGB wie für eigenes einzustehen habe – fachkundig, gewissenhaft und zuverlässig arbeite. Werde – wie vorliegend – ein Fahrer eingesetzt, ohne zuvor das von dem Fahrer berichtete Gefahrenszenario aufgeklärt zu haben, sondern diesen Fahrer einfach so nach nur wenigen Wochen wieder für den Transport von Zigaretten einsetze, sei das im Hinblick auf seine Auswahl- und Überwachungspflichten offensichtlich fehlerhaft und auch subjektiv schlechthin unentschuldbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es angesichts der Anzahl der weiter beschäftigen Fahrer ohne weiteres möglich gewesen sei, einen anderen Fahrer einzusetzen.

Ferner ist der Senat der Auffassung, dass die versicherungsvertragliche Vereinbarung, wonach im Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung die Verkehrshaftungsversicherung leistungsfrei werde, nicht § 7a Abs. 3 Nr. 1 GüKG entgegenstehe. Hiernach können (nur) Ansprüche wegen Schäden ausgenommen werden, die vom Unternehmer oder seinem Repräsentanten vorsätzlich begangen wurden. Ziel der Pflichthaftpflichtversicherung sei es, dass Absender und Empfänger gegen beim Transport eintretende Beschädigungen und Verluste solvent abgesichert seien. An dieser Absicherung ändere sich durch Ziffer 9 Satz 1 VBF 08 nichts. Denn diese betreffe allein das Innenverhältnis des Pflichtversicherers zum Transportunternehmen und lasse unberührt, dass nach dem Gesetz (§ 117 Abs. 1 VVG) ungeachtet einer etwaigen Leistungsfreiheit die Leistungspflicht des Versicherers in Ansehung des Dritten bestehen bleibe. Diese Klausel sei auch wirksam. Gemäß § 210 Abs. 1 VVG seien die Beschränkungen der Vertragsfreiheit nach diesem Gesetz auf Großrisiken nicht anzuwenden. Als eine Beschränkung der Vertragsfreiheit gelte grundsätzlich auch § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG. Dabei handele es sich um eine halbzwingende Vorschrift, da von dieser nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden könne (§ 32 Abs. 1 VVG). Großrisiken seien gemäß § 210 Abs. 2 Nr. 1 VVG u.a. die Anlage 1 Nr. 10 b VAG erfassten Transport- und Haftpflichtversicherungen. Anlage 1 Nr. 10 b VAG nennt unter der Haftpflicht für Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb die Haftpflicht aus Landtransporten.

Es stelle daher keine unangemessene Benachteiligung dar, wenn für den Fall einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit bestimmt werde. Das mit dem VVG 2007 eingeführte Quotelungsprinzip bei grober Fahrlässigkeit gehöre nicht zu den wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes. Das verstehe sich für die Transportversicherung schon daraus, dass für diese Sparte etwa § 137 Abs. 1 VVG abweichend von § 81 Abs. 2 VVG das vollständige Entfallen der Leistungspflicht bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls zur gesetzlichen Regel erhoben habe, sodass nicht einleuchte, dass – nach der Freigabe der halbzwingenden Beschränkung durch § 210 VVG – dasselbe nicht auch bei grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen vertraglich bestimmt werden dürfte.

Die Klägerseite hatte die Zulassung der Revision angeregt. Der Senat ist dem aber nicht nachgekommen. Ob Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, ist nicht bekannt. Nach hiesiger Auffassung erscheinen die Ausführungen des Senats plausibel.

U.S.